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Sicherheit neu denken im Ukraine-Krieg

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Beitrag der Friedensinitiative Dresden (FiD) zur aktuellen Diskussion und Entwicklung

Das Engagement der FiD innerhalb des Projektes „Sicherheit neu denken“ zielt darauf ab, die deutsche Sicherheitspolitik von einer militärischen hin zu einer zivilen Sicherheitspolitik zu entwickeln.

Bildunterschrift: Vor der Schlacht bei Borodino befragt Napoleon den russischen Gefangenen Lawruschka bei Wjasma über die Stimmung im Heer (Leo Tolstoi, Krieg und Frieden, drittes Buch, II, VII, Gemälde von Leonid Ossipowitsch Pasternak, https://de.wikipedia.org/wiki/Krieg_und_Frieden).

Es wurden Szenarien und Meilensteine formuliert, die der Friedensarbeit Impulse geben und Schwerpunktsetzungen ermöglichen. Bei den Meilensteinen für 2018-2022 (Positivszenario siehe Szenarien und Meilensteine S. 8 – 9) müssen wir heute feststellen, dass keines dieser Ziele auch nur annähernd verwirklicht werden konnte. Sondern mit dem Krieg in der Ukraine ist die schlimmste Variante des Negativszenarios (siehe dort S. 29) nicht nur eingetreten sondern hat sich hin zu wesentlich schlimmerem übertroffen.

Obgleich eine Ursachenanalyse für das bisherige Ausbleiben von Erfolgen bei der zivilen Konfliktbewältigung noch nicht vorgenommen ist, hat die AG Zivile Krisenintervention der Initiative „Sicherheit neu denken“ (Snd) Impulse für die Projektarbeit nach dem Eingreifen des russischen Militärs in den Ukraine-Krieg formuliert:

„Impulse für eine entschlossene und besonnene Reaktion auf Putins Krieg“ (Langfassung)

Kurzfassung 18.03.22

zur freien Verwendung ohne Copyright

Die Koordinierungsgruppe der FiD hat sich mit diesen Impulsen von Snd während des Entwurfsprozesses befasst und substanzielle Ergänzungen und Formulierungsänderungen (Putins Krieg, Separatisten …) vorgeschlagen. Sie wurden von den Snd-Koordinatoren zur Kenntnis genommen, aber hinsichtlich der vorgesehenen Zielgruppen „als nicht mehrheitsfähig“ bewertet. Hier spielt insbesondere die unterschiedliche Sozialisierung des breiten Unterstützerkreises von Snd eine wichtige Rolle. Es gibt aber aus der Sicht der bisherigen Arbeit der FiD und besonders auch der Mahnwache für Frieden Dresden keinen Grund, sich der Mehrheitsmeinung unterzuordnen. Unser Vorschlag für realistische und ausgewogene „Impulse“ sollten die zukünftige Diskussion und Arbeit der FiD bestimmen. Wir haben die Hoffnung, dass wir dadurch das Projekt „Sicherheit neu denken“ qualifizieren und unser Aktivität nicht als störend empfunden wird.

Hier ist also unser Beitrag zu den oben zitierten Impulsen:

Ukraine-Krieg beenden, Heilung und Wiederaufbau

NATO pazifizieren, Zukunft USA – Eurasia neu denken

1. Beendigung der Spezialoperation durch Russland. (geht nicht ohne Russland, also seine Nomenklatur verwenden, kein NATO-Sprech)

2. Wir unterstützen, dass dem von Präsident Putin begonnenen Krieg mit Klarheit und Konsequenz, mit klarer Sprache und Bestimmtheit begegnet wird.

Sanktionen sind ungeeignet, sie schüren nur die Feindschaft, die wir nicht wollen. Sanktionen sind wie Kriege Maßnahmen von Tätern gegen Opfer. Oft leidet die Zivilbevölkerung darunter besonders.

3. Da das Friedenskonzept Europa im Zeithorizont 2014 – 2022 vorerst völlig gescheitert ist, steht vor uns das gemeinsame europäische Problem, sich von der Steuerung durch die USA zu lösen.

4. Eskalationsdynamik unterbrechen. Wir haben 3 Hauptkonfliktlinien: Donezk-Republiken – Kiew, USA+NATO – Russland, Nationalismus+Extremismus – Demokratie(-Defizite).

Gewalt und Gegengewalt treiben eine Spirale der Gewalt an, die außer Kontrolle zu geraten droht.

Die Alternative zu einer Verständigung wäre der gegenseitige Vernichtungskrieg. Auf der von Prof. Glasl entwickelten Skala der Konflikt-Eskalation bewegt sich der Ukraine-Krieg bereits zwischen Stufe 7 und 8 von 9 Stufen und tendiert zu Stufe 9: „Gemeinsam in den Untergang“.

5. Die langjährigen diplomatischen Bemühungen waren richtig, aber nicht von ehrlichem und friedlichem Geist getragen, daher nicht erfolgreich. Sie laufen auch in dem Krieg weiter und sind unsere größte Hoffnung.

6. Die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine haben sich seit der Zusage der NATO-Beitrittsperspektive für die Ukraine 2008 aufgebaut.

Es wurde versäumt, die in den 90er Jahren allseitig getragene und erhoffte Perspektive einer tragfähigen Europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung konsequent zu verfolgen und zu realisieren.

George Kennan, Urheber der von den USA seit 1947 verfolgten Containment-Politik zur Eindäm-mung der Sowjetunion, hat bereits 1997 vor den Folgen der NATO-Osterweiterung als „verhäng-nisvollem Fehler“ gewarnt, als einer Treiberin von Nationalismen.

7. Frieden und Verständigung benötigen Perspektivwechsel

Die Perspektive Russlands einzunehmen, heißt nicht, diese zu teilen. Zur Vermeidung eines langjährigen Abnutzungskriegs auf beiden Seiten braucht es Angebote gesichtswahrender friedlicher Lösungsmöglichkeiten für beide Präsidenten. Diese Angebote müssen stets global tragfähig sein, keine Scheinlösungen.

8. Den Krieg mit „sowohl/als auch“ statt „entweder/oder“ überwinden.

Jeder Konflikt, der eskaliert – und ein Krieg erst recht -, führt dazu, komplexes Denken zugunsten von Vereinfachungen sowie klaren Freund-/Feind-Bildern aufzugeben

Demgegenüber sollten wir darauf beharren, die gesamte Geschichte und Dynamik dieses Konflikts zu beleuchten, was häufig bedeutet, nicht auf ein „entweder/oder“, sondern auf ein „sowohl/als auch“ zu setzen.

9. Friedenslogik denkt vom guten Ende her. Deeskalierende Handlungsoptionen entwickeln.

Benötigt werden Handlungsoptionen auf allen Ebenen, für alle Akteure, um den Krieg so schnell wie möglich zu beenden und über Konfliktlösungen in eine stabile Friedensordnung zu überführen.

Es gilt, die Anzahl in den Blick genommener Konfliktlösungs-Varianten zu erhöhen.

10. Ohne den allumfassenden Einsatz für die Durchsetzung der UN-Antirassusmuskonvention sind lokale und globale Kriege nicht zu verhindern

Zwischen staatlicher Zuordnung und der regionalen, religiösen und ethischen Verbundenheit von Menschen kann es immer wieder Konflikte geben, die, wenn sie instrumentalisier werden, sich zu Flächenbränden ausweiten können. Stabile Lösungen wird es erst dann geben, wenn diesen Gruppen ihre spezifischen Identitäten durch die politischen Strukturen in Form von Autonomien und dergleichen leben können. Ziel ist eine Weltordnung von verbundenen Regionen, die auf vielfältige Art in wirtschaftliche, kulturelle und politische Bündnissen verankert sein könnten.

11. Deeskalations-Optionen sind u.a.:

• NATO und EU könnten Russland entsprechend des Angebots von Präsident Selenskyj ihre Unterstützung zu Verhandlungen über eine zukünftige Neutralität und Entmilitarisierung der Ukraine mit gemeinsamen Sicherheitsgarantien signalisieren.

• Die EU könnte Russland Verhandlungen zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum EU/EAWU vom Atlantik bis zum Pazifik vorschlagen.

• Vermittlungs-Initiativen des UN-Generalsekretärs oder des Papstes.

• Bewaffnete Widerstände dauern im Durchschnitt 3x so lange wie zivile Konfliktlösungen. Aktiver gewaltfreier Widerstand ist gegen gewaltsame Besatzer genau so erfolgreich wie gewaltsamer Widerstand – aber mit weit weniger menschlichem Leid und Tod sowie Kosten verbunden.

12. Eine inklusive Europäische Friedens- und Sicherheitsordnung verhandeln.

Die Bereitschaft, normative Differenzen anzuerkennen, auszuhalten und konstruktiv zu bearbeiten, gehört zu den grundlegenden Anforderungen jeder Konfliktlösung und insbesondere an eine nachhaltige gesamteuropäische Ordnung.

Die Tragfähigkeit der demokratischen, rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Werte erweist sich auch daran, inwieweit sie den friedlichen und konstruktiven Austrag von sicherheitspolitischen Konflikten mit dem normativ Anderen zulässt und auf ideologische Konfrontation verzichtet.

13. Wir unterstützen das solidarische Engagement unserer Bevölkerung und der EU-Regierungen für Flüchtende und humanitäre Hilfe für Kriegsopfer unter den Ukrainern und Russen in der Ukraine..

14. Wir widersprechen der angekündigten massiven Erhöhung der Militärausgaben sowie der geplanten Festschreibung von Militärausgaben im Grundgesetz.

Wir fordern kurzfristig jährlich 20 % der geplanten Militärausgaben für einen Auf- und Ausbauplan Zivile Konfliktbearbeitung und Krisenprävention:

• Beitragssteigerungen für OSZE u. UNO, Zivile Krisenprävention u. Friedensförderung

• Ausbau Internationaler Mediation, Friedens-Attachés in jeder Deutschen Botschaft

• Instrumente /, Strukturen und Praxis der konstruktiven Bearbeitung innergesellschaftlicher Konflikte

• Verankerung einer konstruktiven Konfliktkultur in der Breite unserer Gesellschaft

• Friedensbildung und Fortbildung in Sozialer Verteidigung

• Personalsteigerungen für Internationale Polizeimissionen, dafür Regularien und Agenda überarbeiten

• Ausbildung und Einsatz Ziviler Friedensfachkräfte

• Gesamtgesellschaftliche Aus- und Fortbildung in Ziviler Konfliktbearbeitung

• 100 Bildungs-Promotor*innen für Zivile Konfliktbearbeitung

15. Der UN-Atomwaffenverbotsvertrag ist zur Gestaltung einer verantwortlichen Zukunft alternativlos, die auf die Stärke des Rechts statt des Rechts der Stärke setzt.

Durch die Drohung der Präsidenten Putin und Selensky mit Atomwaffen ist diese Gefahr offenkundig geworden. Diese ist nur durch einen Beitritt aller Staaten zum Atomwaffenverbotsvertrag aufzuheben. Deutschland ist gefordert, sich schnell zu entscheiden.

16. Auch für die Lösung der Klimakrise ist eine schnelle gewaltüberwindende Verständigung mit Russland und aller im Konflikt agierenden Staaten notwendig.

17. Sicherheit neu denken, allen voran das NATO-Mitglied Deutschland. Dieser Akteur handelt zwangsläufig als asymmetrischer Konfliktpartner.

Patriarchale Machtstrukturen und Denkmuster überwinden.